Kultur- und Geschichtsverein
Frickhofen e. V.

Aus der Fülle dieser Artikel möchten wir Ihnen - mit freundlicher Genehmigung des Verlages bzw. der jweiligen Autoren - in diesem Rahmen einige besonders interessante Beispiele zusammenstellen. Zur besseren Orientierung haben wir versucht, die jeweiligen Artikel thematisch zu ordnen.

Artikel von Heribert Heep

Entwicklung der Vereine in Frickhofen

Zur wirtschaftlichen, sozialen und politischen Situation in Frickhofen

Geschichte einzelner Familien und Personen

Zur Geschichte der Juden in Frickhofen

Weitere Themen

FRICKHÖFER FAMILIENGESCHICHTEN

"Eiser Waner" - Josef Müller

'Eiser Waner' - Josef Müller

Wer von Milliarden Menschen wird es gewesen sein, der vor der erforschten Zeit die leichte Bewegung eines von ihm geschälten Baumstammes erkannte? Wie leicht waren damit schwere Lasten zu bewegen, Kultsteine an den Küsten Europas lassen uns staunen. Die leuchtende Idee eines Frühmenschen. den Stamm in Scheiben zu teilen, was die Beweglichkeit vergrößerte, gleichzeitig den Widerstand und Eigengewicht verringerte. Der nächste Schritt des Technikers der Vorzeit: er verband beide Scheiben mit einem Rundholz, das der von ihm gewünschten Spurbreite entsprach, an das er dann ein Leitholz befestigte. Das massive Holzrad war nachweislich schon vor 5500 Jahren im Gebrauch. Bis in die jüngste Zeit diente auch bei uns das Holzrad zum Transport von schweren Lasten.

Mit dem Rad war auch das Handwerk des Wagners oder Stellmachers geboren. Josef Müller, die wenigsten kannten ihn mit seinem rechten Namen, er war "de Eiser Waner", am 24. Juni 1887 in Eisen bei Meudt geboren. Der Vater war Landwirt, starb am 23. Juli 1892. im Alter von 43 Jahren an Leichenvergiftung und hinterließ seine Frau mit sieben unmündigen Kindern; Josef, der zweitjüngste, war fünf Jahre alt. Nach der Schulzeit kam Josef Müller nach Frick¬hofen zu Josef Größchen im Brühl um das Handwerk des Wagners und Stellmachers zu erlernen. Etwas Erfahrung wird er schon mitgebracht haben, denn die meisten Gerate und Fahrzeuge in der väterlichen Landwirtschaft kamen aus der Werkstatt des Wagners. Sein erwählter Beruf stellte höchste Ansprüche an mathematische Fähigkeiten. Physik und erfordert besondere Kenntnisse vom Holz.

Der Lehrling Josef Müller lebte mit im Haushalt des Meisters, und sicherlich war es auch so, daß der junge Mann der Meisterin zur Hand gehen mußte, was auch eine angenehme Abwechslung in seinem täglichen Arbeitsablauf sein konnte. Die Arbeitszeit an den Werktagen betrug 12 Stunden in der Werkstatt und der Landwirtschaft, weiche für die Ernährung der Familie nötig war. Wenn am Samstagabend Haus. Hof und Werkstatt aufgeräumt und sauber und der Meister guter Laune war, durfte Josef zu seiner Familie nach Eisen gehen. Die Gestaltung des Sonntags war gleich eine andere. wenn am Nachmittag die Berufsschule in Hadamar zu besuchen war. Für uns heute undenkbar, am Sonntagnachmittag, dem einzigen freien Nachmittag, der den jungen Menschen zur Verfügung stand, die Schule zu besuchen, doch gemessen an den Lebensumständen der Jahrhundertwende ein echter Fortschritt. Die Leistungen der Schule und Schüler waren beachtlich und können sich heute noch sehen lassen.

Damals gab es in Frickhofen noch keine Berufsschule. Erst in der Vorstandssitzung des hiesigen Gewerbevereins am 15. Mai 1913 bei Georg Heep, Metzgerschorsch, wurde die Einrichtung einer Gewerbeschule hier im Ort beschlossen. Diese Einrichtung konnte auch von den jungen Leuten der Nachbargemeinden besucht werden. Zum Leiter wurde Lehrer Alfons Heinzmann gewählt.

Im Jahr 1905 wurde Josef Müller Handwerksgeselle. Wie lange er noch in seiner Lehrwerkstatt blieb, ist nicht bekannt, da der Wagnermeister Größchen im Jahr 1907 sein Anwesen an den Landwirt Peter Kutscheid aus Wallmerod verkauft. Ohne Zweifel folgte Josef Müller einem strengen Brauch aus dem 14. Jahrhundert, welcher zur Ausbildung gehörte, ohne die er nicht zu Meisterehren kommen konnte, den Wanderjahren. Er nahm seinen naturgewachsenen Wanderstab, "Stenz", und ging für drei Jahre und einen Tag auf die "Walz". Dabei durfte er sich nur 50 km seiner Heimatgemeinde nähern.

Werkstatt eines Wagners

Das vergangene Jahrhundert der großen Kriege erlebte auch der junge Wagner, der dank seiner handwerklichen Fähigkeiten dem mörderischen Feuer des ersten Weltkrieges entging, da er als Soldat mit Instandsetzung und Bau von Transportgeräten beauftragt war. Das Auto war noch nicht kriegstauglich, der Fuhrpark bestand grö߬tenteils aus Holzwagen, leichte Geschütze waren mit Holzspeichenrädern ausgerüstet. Für Josef Müller und Millionen Menschen, die von den Kriegsschauplätzen 1918 in die Heimat kamen, war der Untergang des Kaiserreiches sowie der Niedergang Deutschlands eine Verachtung der Leistung, welche die Soldaten an der Front gegeben hatten. Ms national denkender Mensch versuchte er im Bund der Frontsoldaten, dem Stahlhelm, den Geist der Wehrhaftigkeit und der Nation zu erhalten.

Doch gab es für den jungen Mann aus Eisen noch die schöne Seite des Lebens, die er in der Langestraße gefunden hatte. Obschon vor dem Krieg eine Freundschaft bestand, ist nicht bekannt, doch am 28. April 1920 werden Anna Margarete Reichwein und Josef Müller von Pfarrer Heinrich Egenolf in St. Martin getraut. In einer armen Zeit begann das gemeinsame Leben, auf seine handwerklichen Fähigkeiten bauend faßte er es an. Am 01. März 1921 meldet er sein Gewerbe als Wagner und Stellmacher an. Frickhofen hatte seinen "Eiser Waner". Die erste bescheidene Werkstatt 1921 war an das Backhaus angelehnt. Vor dem Gemeindebackhaus stand in den 40er Jahren die Viehwaage, welche von Josef Müller bedient wurde. Im Jahr 1921, in der Vorbereitungszeit zur Meisterprüfung, stellte er "Juseps Martin", Martin Schardt ,als Lehrling ein, der noch ein Jahr länger als die Lehrzeit bei ihm beschäftigt war.

Welche Energie im Eiser Waner steckt: 1922 ist er Handwerksmeister und kann mit seiner Erfahrung und seinem Können in der Gemeinde tätig werden. Wichtig für den Wagner sind seine Holzkenntnisse, vor allem mit gut gelagertem wertvollem Holz wie Rüster, Eiche und Esche konnte er sauber und rentabel arbeiten, von alledem war bei Josef Müller kein Mangel, standen doch in seinem Hof Stapel geschnittener Baumstämme.

Von Josef Müller hergestellter LKW

Der Wagner war auch der Radmacher in der Gemeinde, der die komplizierte Technik der Herstellung des Rades beherrschte, der alle hölzernen Gefährte, von der Schubkarre bis zum Pferdewagen baute. In den 20er Jahren stellte er Aufbauten für Lastkraftwagen her. die ohne Fahrerhaus und Ladefläche an den Kunden geliefert wurden. Ein Fahrzeug wurde vom Händler Johann Schäfer. "Kilbinger" gefahren. Für den Händler Wilhelm Schilling in der Bahnhofstraße baute er Handwagen, die bekannten "Frickhöfer". Wie seine saubere Handschrift waren auch die kleinen Arbeiten, welche er mit besonderer Sorgfalt ausführte, besonders die Weihnachtsgeschenke der 40er Jahre für Kinder, Schubkarren, Roller oder ein Schaukelpferd, die von Malermeister "Franse" Anton Schneider angestrichen, auf Wunsch mit Blumendekor, die Schubkarren, gefüllt mit Obst und Buttergebäck. unter dem Christbaum standen. Etwas besonderes, der es sich leisten konnte. Skibretter aus Esche, welche beim Schmied Eilberg gebogen wurden, der auch die Fußbindung hatte: Ein einfaches U- Eisen. Der Kastenschlitten, der eigentlich für den Holztransport gedacht war, robust auf der Rodelbahn, überlebt jeden heute angebotenen Kitsch.

Besonders m den Wintermonaten war das Auftragsbuch gefüllt, in der Zeit, in der die Bauern ihre Geräte überprüften und für das Frühjahr instandsetzten. Da war in der 1929 neu erbauten Werkstatt reger Kunden- oder Publikumsverkehr, welcher sich am warmen Ofen aufhielt und Neuigkeiten austauschte. Die Stimmung besonders stieg, wenn sich sein Nachbar "Matese Schorch" mit der Dorfschelle dazu gesellte, da ruhte auch einmal die Arbeit, was einen geselligen Menschen wie Josef Müller keineswegs störte. Ein guter Kunde war der Schausteller Jakob Pfaff, der beim Wagner seinen Vergnügungs- und Fuhrpark ausbessern ließ. Beiden ging die Arbeit und die Zigarre nicht aus. Bis zum Zweiten Weltkrieg wurde in unserer Gemeinde der Wagner und Stellmacher gebraucht. Die zunehmende Motorisierung brachte die alten Handwerksbetriebe um ihre Existenz, die wenigen, die überlebten, registrieren heute wieder eine steigende Nachfrage. Im 68ten Lebensjahr, für Josef Müller 50. Jahre Handwerk, meldet er seinen Betrieb ab, war aber bis zu seinem 70. Lebensjahr für seine Kunden in der landwirtschaftlichen Genossenschaft im Dienst.

Nach dem Tod seiner Ehefrau am 04. April 1961 sorgte seine Tochter Mathilde für sein Wohlergehen. Mit dem Altwerden hatte Josef keine Probleme, es war für ihn ein Lebensabschnitt, den er bewußt beschritt, konnte er doch zufrieden auf ein Handwerkerleben zurücksehen. Auf der Bank vor seinem Haus war er oft zu sehen, entweder mit der Pfeife oder Zigarre rauchend, und ließ sich von den vorübergehenden guten Tag sagen, war natürlich immer gut über das Dorfgeschehen unterrichtet. Als geselliger Mensch war er oft in der "Geisterstunde" mit alten Kameraden und Freunden bei Herze Gretche zu sehen. Eine heute historische Photographie von Heribert Heep aus dem Jahr 1968 zeigt die Stammtischrunde, jedoch ohne Josef Müller.

Der "Eiser Waner", ein Stück Dorfgeschichte, verabschiedete sich am 01. Juni 1968 aus unserem Lebenskreis. Von seinem Lebensraum, der Langestraße um das Backhaus, ist wenig übrig geblieben, wo seine Werkstatt war. steht heute ein Wohnhaus, in dem ein Urenkel wohnt. Dank der Familie Schneider - Weber ist unersetzliches Bildmaterial der Dorfgeschichte erhalten und hat zu hoffen, einmal in einem Dorfmuseum gezeigt zu werden.

Franz-Josef Gresser